Die Geschichte von HIGH COM

von Ernst F. Schröder

 

1.         Inhalt

Vorbemerkung

Die Anfänge in der Grundlagenentwicklung

Der telcom Kompander

Der Beginn der Entwicklung von HIGH COM

Nakamichi kommt dazu

HIGH COM entsteht

HIGH COM II

HIGH COM Promotion

HIGH COM in Beijing

Noch mehr Kompander

Schluss

Literatur

 

2.         Vorbemerkung

Dies ist die Erzählung der Geschichte des HIGH COM (*) Kompanders. Sie ist aufs engste verknüpft mit meiner Zeit als Entwicklungsingenieur im Telefunken Grundlagenlaboratorium in Hannover von 1970 bis 1983. Sie beruht auf erhalten gebliebenen Aufzeichnungen und Fotos sowie auf der Erinnerung nach bestem Wissen.

Mein Dank gilt den ehemaligen Kollegen Jürgen Wermuth und Hans-Jürgen Kluth, die Fakten, Bilder und Korrekturen beigesteuert haben. Ebenfalls danken möchte ich Manfred Geske und Ingo Weishaupt, die Fotos ihrer HIGH COM Geräte zur Verfügung gestellt haben.

 

3.         Die Anfänge in der Grundlagenentwicklung

Meine Zeit bei Telefunken begann am 15. Mai 1970. Eingestellt wurde ich als Entwicklungsingenieur in der Grundlagenentwicklung. Dies war eine speziell für Professor Walter Bruch eingerichtete Entwicklungsabteilung. Sie befand sich nicht im Hauptgebäude in Hannover-Ricklingen, sondern seit etwa 1968 am anderen Ende der Stadt, in der Vahrenwalder Straße 215. Professor Bruch selber hatte ich ja schon während meines Studiums kennen gelernt, aber auf sein Labor war ich erst aufmerksam geworden durch eine Veröffentlichung in der Funkschau [1] von Werner Scholz, einem Mitarbeiter dieses Labors. Dort hieß es nämlich in einer Unterzeile: "Der Verfasser ist Mitarbeiter der AEG-Telefunken, Grundlagenlaboratorium, Hannover".

Bei der Vorstellung in der Telefunken-Personalabteilung wollte man mich zwar unbedingt für die Fernseh-Produktentwicklung begeistern, ließ mich dann aber etwas enttäuscht doch zu den "Exoten" in der Grundlagenentwicklung ziehen.

 

Die Zeit als Jungingenieur verbrachte ich zunächst mit allerlei Kleinprojekten und der Unterstützung für Andere. Eine regelmäßige, geliebte aber bei einigen auch unbeliebte Tätigkeit für alle Labormitglieder war die Vorführung der Vorzüge des PAL-Farbfernsehsystems. Durch die einzigartige technische Ausstattung des Labors mit Geräten der verschiedenen Farbfernseh-Normen NTSC, SECAM und PAL konnte man nämlich die unterschiedlichen Verhaltensweisen bei bestimmten Störungen und damit die Vorzüge von PAL demonstrieren.

Solche Vorführungen fanden mehr oder weniger regelmäßig statt. Jedes Labormitglied hatte dabei seinen festen Platz an bestimmten Geräten, während Hans-Jürgen Kluth den Zeremonienmeister machte. Er lauschte dem Vortrag und gab über Mikrofon die Anweisungen: "PAL", "NTSC", "Sägezahn", "Rotierphase" und so weiter. Ein Standardkommando an Günter Brandt, den Bediener des 35mm-Filmabtasters, war kurz nach dem Start des 35mm-Farbfilms "Paletten der Mode": "mehr Grün!". Besonders nachhaltig in Erinnerung blieb mir von allen diesen Gelegenheiten die souveräne Art und Weise, in der Professor Bruch seine Vorträge vor unterschiedlichstem Publikum hielt.

 

Auf dem Hof stand immer noch der Magirus Bus, der für die PAL-Demonstrationen in Südamerika im Jahr 1968 als Übertragungswagen gedient hatte. Mit seiner starken Klimaanlage war er ein beliebter Zufluchtsort an heißen Sommertagen, auch wenn eigentlich andere Arbeit wartete. Manchmal verirrten sich sogar die Zutaten für "Cuba Libre" in diesen Bus. Hier sieht man mich am Video-Mixer des Übertragungswagens zusammen mit Professor Bruch und meinem Kollegen Gunther Raschke.

 

Bruch, Raschke und der Autor im Bus

 

Bild1:    Professor Bruch, Gunther Raschke und der Autor im PAL-Übertragungswagen

 

Eines meiner ersten eigenen Projekte war im Juli 1972 die Untersuchung eines neuartigen elektronischen Bauelements, der Eimerkettenschaltung. Mit diesem variablen analogen Speicherelement für Audio- und Videosignale konnte man zum Beispiel variable Verzögerungen realisieren. Als Anwendungsbeispiel wählte ich die Beseitigung der Tonhöhenschwankungen bei einem einfachen Recorder für Compact-Cassetten, einem Telefunken Stereosound TD. Wie auf dem folgenden Oszilloskopbild zu sehen ist, gelang dies recht gut, die Tonhöhenschwankungen sind deutlich reduziert. Allerdings erforderte dies Verfahren in irgendeiner Weise die zusätzliche Aufzeichnung einer Art Pilottonsignal. Das war wenig aussichtsreich für ein Konsumgeräte-Produkt, aber insgesamt war es eine gute Beispiel-Anwendung dieser neuen Bauelemente.

 

Tonhöhenschwankungen

Bild 2:   Tonhöhenschwankungen eines Cassettenrecorders
unten unverändert, oben kompensiert.
Horizontale Achse 50 ms/Teil, vertikale Achse 0,33%/Teil

 

Im Jahre 1973 reiste Professor Bruch in die USA und besuchte das ehemalige Labor von Thomas Alva Edison in Menlo Park. Von dort kehrte er zurück mit einer Kiste mit alten Edison-Tonzylindern. Meine Aufgabe war es, den Ton von diesen Zylindern herunterzuholen. Dazu stellten wir bei einem einfachen Telefunken Plattenspieler den Plattenteller vertikal, bauten eine konische Walze auf den Plattenteller und drehten den Tonarm um 90 Grad. Durch Vertauschen der Anschlüsse am Stereo-Tonabnehmer konnte man dann die Signale der Edison-Tiefenschrift auf den Tonzylindern als Mono-Signal abnehmen und auf Tonband speichern. Das Labor verfügte zwar über viele Video-Messgeräte, aber kaum über Audiogeräte. Zum Glück besaß ich privat einige Geräte, mit deren Hilfe ich die subjektive Qualität der Aufnahmen verbessern konnte.

 

Die bemerkenswerteste dieser Aufnahmen ist die der Glocke von Big Ben in London, aufgenommen am 16. Juli 1890. Die Aufnahme leiert ein wenig, weil sie mit einem eigentlich für Sprache gedachten Aufnahmegerät mit Antrieb durch einen Federmotor gemacht wurde.

 

Eine weitere einzigartige Aufnahme ist das Angriffssignal von Trompeter Lansey, einem der überlebenden Trompeter der Schlacht von Balaclava im Krimkrieg 1854. Genau dieses Signal, so sagt er, hat er auf dem gleichen Horn am 25 Oktober 1854 als Kommando zum verlustreichen Angriff der "Light Brigade" geblasen.

 

Professor Bruch verarbeitete seine umfangreiche Sammlung über die Geschichte der Ton- und Bildspeicherung schließlich zu einer Artikelserie in der Funkschau [2].

 

Zu meinen weiteren Aufgaben gehörte die Verfolgung neuer Entwicklungen im Bereich des Fernsehrundfunks. Im November 1974 reiste ich daher zur BBC in London und bekam dort die allererste Version von CEEFAX zu sehen. Das ist das, was wir heute Videotext nennen. Die farbige digitale Darstellung von Text auf einem Fernsehbildschirm war damals neu und sehr eindrucksvoll.

 

4.         Der telcom Kompander

Im Fachbereich Weitverkehr und Kabeltechnik der AEG-Telefunken gab es eine Abteilung, die sich speziell mit professioneller Elektroakustik und Studiotechnik beschäftigte, die ELA in Wolfenbüttel in der Lindener Straße 15.

Dort saß mit Jürgen Wermuth ein junger Entwicklungsingenieur, der sich unter anderem mit rauscharmen Mikrofonverstärkern beschäftigte. AEG-Telefunken war damals auch Vertriebspartner der Dolby Labs in London für deren in professionellen Tonbandgeräten eingesetzten Dolby-A Kompander. Jürgen Wermuth hatte auch mit diesen Kompandern zu tun und war nicht zufrieden mit deren Technik und den immer wieder auftretenden Problemen. Daher setzte er sich in seiner Freizeit daran einen wesentlich besseren Kompander zu entwickeln. Das war so etwa am Anfang der 70er Jahre.

 

Folgende Probleme wollte er dabei lösen:

 

Die Lösungen, die Wermuth für die obengenannten Entwicklungsziele fand, waren die Folgenden:

 

Kettenverstärkerprinzip
Bild 3:   Darstellung des Kettenverstärkerprinzips und der erzielbaren Kennlinien

 

 

Nach anfänglichem Zögern hat die Leitung der ELA Wermuths Entwicklungsergebnis schließlich akzeptiert und ein Produkt daraus gemacht. Das Ergebnis war der Telefunken-Kompander mit vier getrennten Frequenzbändern, daher schließlich "telcom c4" genannt. 

 

Vermutlich hat auch Stephan F. Temmer, der Gründer der Gotham Audio Corporation, der immer auf der Suche nach neueren und besseren Lösungen für Probleme der Audiotechnik war und der Telefunken Produkte in den USA vertrieb, zu diesem Entschluss bei der ELA beigetragen. Natürlich führte das alles nicht gerade zu einem besseren Verhältnis zu den Dolby Labs.

 

Die ersten Vorstellungen des neuen Kompandersystems erfolgten schließlich im Herbst 1975 auf der 10. Tonmeistertagung in Köln [8] sowie in der Funkschau [9].

 

erste telcom Platine

 

Bild 4:   Ansicht einer der ersten telcom-Platinen (Foto Jürgen Wermuth)

 

5.         Der Beginn der Entwicklung von HIGH COM

Zusätzlich zu den Arbeiten an einem Kompander für professionelle Anwendung hatte Jürgen Wermuth sich auch mit einer Variante für Konsumanwendung und in Recordern für Compactcassetten beschäftigt. Er nannte sie "RUSW", das "Rauschunterdrückungssystem Wermuth".

 

Am 23. April 1974 hat Wermuth schließlich sein "RUSW-200", gekoppelt mit einem Telefunken MC 3300 Kassettenrekorder, vor Mitgliedern aus Vorstand, Produktentwicklung sowie Patentwesen vorgestellt.

 

RUSW-200 Prototyp

 

Bild 5:   Ansicht des RUSW-200 Prototyps (Foto Jürgen Wermuth)

 

Am 09. Juli 1974 zitierte mich Dr. Klaus Welland, Vorstand Entwicklung bei Telefunken, in sein Auto und fuhr mit mir nach Wolfenbüttel zur ELA. Eine in mehrerer Hinsicht bemerkenswerte Fahrt, war er mir doch nicht nur als Vorstand und auch als Funkamateur (Rufzeichen DL1MR), sondern insbesondere als rasanter Fahrer bekannt. Nun, ich habe es überlebt.

 

In Wolfenbüttel gab es ein Gespräch auf höchster Ebene, an dem auch Jürgen Wermuth und ich teilnehmen durften. Als Ergebnis kam heraus, dass für die Konsumvariante des neuen Kompanders im AEG-Telefunken Konzern natürlich Telefunken in Hannover zuständig war und dass die Weiterentwicklung dieses Verfahrens ab sofort von mir übernommen werden sollte. Dazu erhielt ich von Jürgen Wermuth Anfang August 1974 detaillierte schriftliche Unterlagen und sogar auch schon einen Entwurf für eine analoge integrierte Schaltung.

Interessant ist am Rande, dass während dieses Treffens in Wolfenbüttel bekannt wurde, dass AEG-Telefunken der Alleinvertrieb für Dolby-A Geräte von Dolby gekündigt wurde.

 

Professor Bruch hatte die direkte Leitung des Entwicklungslabors inzwischen in andere Hände übergeben. Dr.-Ing. Gerhard Dickopp war mit einem Teil seiner Mannschaft aus dem Telefunken Labor in Berlin nach Hannover gekommen. Dort hatte er bis Anfang der 70er Jahre maßgeblich an der Entwicklung der Telefunken-Teldec Bildplatte TED mitgearbeitet. Das bei der TED Bildplatte verwendete Farbverfahren "TriPal" war in Hannover von Bruchs Grundlagenentwicklung beigesteuert worden. Auch ich hatte einige Ideen zur Entwicklung des auf der TED Bildplatte verwendeten Tonaufzeichnungsverfahrens beigetragen.

 

Ich machte mich sofort ans Werk. Die ursprünglich von Wermuth vorgeschlagene Schaltung enthielt die grundsätzlichen Ideen von telcom, hatte aber der Einfachheit halber nur zwei in Kette geschaltete Stellverstärker und verwendete auch nur zwei getrennte Frequenzbänder. Zur weiteren Vereinfachung wurden nur die Audiosignale in dem höheren Frequenzbereich kompandiert. Die Übergangsfrequenz zwischen dem unkompandierten und dem kompandierten Frequenzbereich war praktisch konstant.

 

Schon kurze Zeit später war der erste Entwurf so umgestaltet, dass ein Kompander mit einer wesentlich günstigeren sliding-band Charakteristik entstand, die auch bei dem von Dolby bereits im Oktober 1969 vorgestellten Dolby-B System verwendet wurde. Allerdings wurde eben nicht die diesem System zugrundeliegende Aufteilung in "main path" und "further path" [10] verwendet. Der Gesamtgewinn des neuen Kompanders lag bei etwa 20 dB, also etwa doppelt so hoch wie beim Dolby-B. Im Juni 1975 wurde die erste Patentanmeldung [11] zu dem neuen Kompander eingereicht. Weitere Patentanmeldungen wurden dann in schneller Folge erarbeitet.

 

Prinzipschaltbild

 

Bild 6:   Prinzipschaltbild eines Sliding-Band Kompressors mit zwei Kettenverstärkern

 

Frequenzgänge

 

Bild 7:   Die Sliding-Band Frequenzgänge des Kompressors nach Bild 6

 

Anfang 1976 gab es ein weiteres erwähnenswertes Ereignis im Telefunken Grundlagenlabor. Bei einer Gelegenheit hatten einige der Ingenieure zusammengesessen und etwas herumgeblödelt und dabei verrückte Ideen zur Fernsehtechnik zusammengetragen. Da wir uns auch mit Videorecordern beschäftigten, kam die Frage auf, wie man Videoaufzeichnungen zeitgenau starten könne, wenn die Sendung mal wieder gegenüber den Angaben in den Programmzeitungen zeitverzögert ausgestrahlt wurde. Benno Jahnel, einer der Kollegen, die vor kurzem aus Berlin nach Hannover gewechselt waren, hatte die entscheidende Idee und reichte sie dann auch als Erfindungsmeldung ein: Der Sender sendet auf einem digitalen Zusatzkanal nicht etwa die aktuelle Uhrzeit, sondern eine falsche Zeitinformation, nämlich die Soll-Anfangszeit der Sendung. Das aus dieser Idee hervorgegangene Patent [12] führte zu dem noch heute verwendeten VPS-Verfahren im Fernsehrundfunk und zu nicht geringen Lizenzeinnahmen für Telefunken.

 

Im Oktober 1976 habe ich dann auf der Tagung der FKTG in Freiburg einen von Jürgen Wermuth und mir verfassten Vortrag über den professionellen telcom c4 und den noch namenlosen Kompander für Konsumanwendung gehalten [13]. Ich erinnere mich noch sehr gut, dass Elmar Stetter, der anwesende Vertreter der Dolby Labs, nicht sehr erfreut war über diese neue Konkurrenz.

 

Für eine tatsächliche Anwendung in Konsumgeräten war es unbedingt erforderlich, den Kompander als integrierten Analogbaustein zu realisieren. Daher reiste ich im Frühjahr 1977 zur AEG in Ulm und zum AEG-Telefunken Halbleiterwerk in Heilbronn. Dort traf ich auf Dietrich Höppner und Kurt Hintzmann. Der letztere war es dann, der den ursprünglichen Entwurf von Jürgen Wermuth mit den von mir entwickelten Änderungen in eine integrierte Analogschaltung [14] umsetzte.

 

Als die ersten Muster verfügbar waren und auch wie gewünscht arbeiteten, bekam ich eine Einladung vom Hessischen Rundfunk. Ende September 1977 gestaltete Joachim Bublath dort mit mir und meinem Mustergerät eine Sendung über Audio-Kompander.

 

6.         Nakamichi kommt dazu

Inzwischen hatte sich wieder Stephan S. Temmer eingeschaltet. Er hatte wohl über seine Kontakte zur AEG-Telefunken ELA in Wolfenbüttel davon gehört, dass bei Telefunken in Hannover eine Konsumversion von telcom entwickelt würde. Diese Nachricht hat er offenbar an den Hersteller der zu dieser Zeit unangefochten besten Cassettenrecorder weitergegeben: an die Firma Nakamichi in Tokyo.

Es dauerte nicht lange und die komplette Geschäftsleitung von Nakamichi, angeführt vom Firmengründer Etsuro Nakamichi, erschien bei Telefunken in Hannover in der Vahrenwalder Straße und ließ sich von mir den neuen Kompander vorführen. Man war sehr angetan, andererseits aber geradezu entsetzt darüber, mit welch grausam schlechten Geräten der arme Entwickler hantieren musste.

 

Umgehend wurde eine Frachtsendung der feinsten Nakamichi-Geräte auf den Weg geschickt: Ein N1000 und ein N600 Cassettenrecorder, Vor- und Endverstärker, ein spezielles Audio-Messgerät, der T-100 Audio Analyzer, sowie zwei riesige Lautsprecherboxen. Im Vergleich mit den seinerzeit typischen Hi-Fi-Geräten von Telefunken war das schon etwas Besonderes, was auch die weitere Entwicklung des Kompanders nachhaltig beeinflusst hat.

 

Bei Nakamichi hatte man ursprünglich geplant, den telcom c4 Kompander in dem  High-end Cassettenrecorder N1000 einzusetzen und so den ultimativen Recorder für die Compact-Cassette auf den Markt zu bringen. Aber AEG-Telefunken ELA wollte telcom c4 nur in professionellen Anwendungen sehen und verweigerte eine Lizenz, nicht ohne auf den ja in Entwicklung befindlichen Kompander für Konsumgeräte hinzuweisen. Nachdem man den nun in Funktion erlebt und schließlich auch im Juli 1977 zwei funktionsfähige Muster erhalten hatte, stimmte man zu  und wartete auf die Serienreife des ICs.

Am 24. Juni 1977 wurde dann zwischen Nakamichi und AEG-Telefunken ein Lizenz-Vorvertrag geschlossen.

 

7.         HIGH COM entsteht

Es war zwar beschlossene Sache, dass neue Cassettenrecorder von Telefunken nicht mit Dolby-B sondern mit dem neuen eigenen Kompander ausgerüstet würden. Inzwischen hatte sich in der Telefunken Entwicklungsleitung aber wohl die Befürchtung verbreitet, dass man wegen einer gewissen Ähnlichkeit zu Dolby-B in einen langwierigen und teuren Patentstreit mit Dolby verwickelt werden könnte, selbst wenn man davon überzeugt war, dass man die Patente der Dolby Labs nicht verletzte. Ich erhielt daher den Auftrag, auch andere Kompandervarianten zu untersuchen. Das IC war aber inzwischen fast fertig, was konnte man also noch ändern?

 

In der mindestens bis ins Jahr 1925 [15] zurückgehenden Geschichte der Kompandierung von Tonsignalen waren ursprünglich erst einmal Kompander entwickelt worden, die das gesamte Tonsignal-Frequenzband auf einmal bearbeiteten, also Breitband-Kompander. Meist hatten sie sich als weniger geeignet erwiesen, wie z.B. auch die späteren Entwicklungen von EMT [16], Burwen [17] und dbX [18].

 

Mindestens schon seit 1937 war es aber grundsätzlich bekannt [19], den gesamten Tonfrequenzbereich in mehrere getrennte Bereiche aufzuteilen und diese dann getrennt zu kompandieren. Diese Auslegung als Mehrbandkompander hatte sicherlich auch zum Erfolg von Dolby-A [20] beigetragen und wurde auch im telcom c4 angewendet. Für einen Kompander für Konsumgeräte hätte das aber einen teuren Mehrfach-Aufwand bedeutet.

 

Aber mit dem hervorragenden Prinzip der Linearisierung durch Kettenverstärker, dem speziellen Steuersignalerzeuger und solchen High-End Cassettenrecordern wie dem Nakamichi 1000, was konnte schon passieren? Die Bauteile, die den sliding-band Effekt erzeugten, waren schnell entfernt. Das Problem der mangelnden Geräuschverdeckung beim einfachen Breitbandkompander wurde mit Hilfe einer zusätzlichen Pre/Deemphase angegangen, und das gefürchtete Auftreten von Rauschfahnen hinter abrupt endenden Nutzsignalen wurde mit Hilfe eines speziellen Steuersignalerzeugers [21] und einer signalabhängig zwischen "langsam" und "schnell" umschaltbaren Zeitkonstante gelöst.

Sowohl das statische als auch das dynamische Verhalten dieses Breitbandkompanders wurde intensiv getestet, mit allen Arten von Musik und insbesondere mit dem Anschlagssignal einer Triangel. Diese Triangel besitze ich heute noch.

 

Anschlag Triangel

Bild 8:   Anschlagssignal einer Triangel, wiedergegeben von einem Cassettenrecorder, oben unkompandiert, unten mit HIGH COM
Es ist nur eine sehr geringe Verzerrung am Anfang des Signals sichtbar.

 

Triangel

 

Bild 9:   Foto der verwendeten Triangel

 

Am 28.11.1977 habe ich dann beide Versionen, sliding-band und Breitband, mit den erreichten Resultaten sowie ihren Vor- und Nachteilen der Entwicklungsleitung von Telefunken vorgestellt.

Das Entwicklungsergebnis wurde für gut befunden und die Entscheidung fiel auf den Breitbandkompander. Dazu musste allerdings der integrierte Schaltkreis ergänzt werden, was einem kompletten Redesign gleichkam. Das gab wohl höheren Orts etwas Ärger zwischen Telefunken in Hannover und dem AEG-Telefunken Halbleiterwerk in Heilbronn.

 

Im Februar 1978 erschien dann in den Rundfunktechnischen Mitteilungen (RTM) ein Aufsatz [22] von Dr. Dickopp und mir, der den neuen "Telefunken Kompander" beschrieb, und zwar sowohl den professionellen telcom c4 als auch zwei Varianten des Konsum-Kompanders, sowohl die Version mit sliding-band als auch die neuere Breitbandversion.

 

Eine weitere Entwicklung ergab sich im Frühjahr 1978: Die Düsseldorfer Messegesellschaft wollte wohl der Berliner Messegesellschaft etwas vom Geschäft mit der Konsumelektronik wegnehmen und hatte deswegen eine Konkurrenzveranstaltung zur Berliner Funkausstellung geplant. Ende August 1978 sollte die erste Hi-Fi Ausstellung in Düsseldorf stattfinden. Aber die Deutschen Hi-Fi Hersteller scheuten die zusätzlichen Kosten, waren sie doch schon bei der im zweijährigen Rhythmus stattfindenden Funkausstellung in Berlin engagiert. Sie lehnten daher die Teilnahme ab. Die aufstrebende Konkurrenz aus Fern-Ost aber griff freudig zu.

 

Telefunken hatte jetzt den neuen Kompander und auch gerade einen neuen hochwertigen Kassettenrecorder mit Direct Drive Antrieb fertig. Deshalb entschloss man sich kurzfristig und entgegen der ursprünglichen Ankündigung, nun doch an der Hi-Fi Messe in Düsseldorf teilzunehmen. Nun folgten hektische Vorbereitungen, denn bisher gab es nur wenige funktionsfähige Kompander ICs, die auch noch mit externen Bauelementen für die Breitbandversion präpariert werden mussten.

 

Ich habe also einige Platinen mit dem Breitbandkompander aufgebaut und Bernd Wiedenroth aus der Produktentwicklung verheiratete sie mit dem neuen Recorder, dem TC750.

 

TC750

 

Bild 10:   Frontansicht eines Telefunken TC750

 

Es musste nun natürlich auch ein Name her für den neuen Kompander. Nach einigem Suchen einigte man sich auf den Namen "HIGH COM". Die exakte Schreibweise enthält übrigens eine halbe Leerstelle zwischen "HIGH" und "COM". Das war etwas, was elektrische Schreibmaschinen damals durchaus leisten konnten. Es war aber schwer vermittelbar und lässt sich auch heute nur mit Mühe darstellen. Auch ein Logo wurde entworfen, welches einen Anklang an Magnettonköpfe enthielt:

 

HIGH COM Logo

 

Bild 11: HIGH COM Logo auf dem Cassettenfach-Deckel eines HC1500

 

Der Aufwand, den Telefunken für diese Hi-Fi Messe trieb, war enorm. Im hinteren Bereich des Messestands wurde mit Tonnen von Sand zwischen doppelten Wänden ein absolut schalldichter Vorführraum mit Klimaanlage aufgebaut. Darin stellte man die besten Geräte auf, die Telefunken zu bieten hatte, und natürlich den TC750 mit HIGH COM.

 

Die vorproduzierte Musik für unsere Demonstrationen besorgte ich in Berlin von der Teldec. Der damalige Cheftonmeister, Professor Martin Fouqué, stellte uns Kopien von mit telcom c4 gespeicherten Originalen zur Verfügung, diese kopierten wir dann mit HIGH COM auf Chromdioxid-Compactcassetten.

 

Die erzielbare Qualität war wirklich beeindruckend. Beim Publikum kam am besten an eine Aufnahme von "Also sprach Zarathustra" mit Sir Georg Solti.

 

Natürlich gehörte auch eine technische Demonstration zum Vorführungsprogramm. Mit Hilfe eines in Echtzeit arbeitenden Terzanalysators der Firma Brüel & Kjaer (Typ 2131) konnte man den Gewinn an Geräuschspannungsabstand auch optisch sichtbar machen und vergleichen.

 

Terzanalysator

Bild 12: Darstellung des Kompanderwinns auf einem Echtzeit-Terzanalysator,
links: Dolby B, rechts: HIGH COM
dunkel: Geräuschspektrum ohne, hell: mit Kompander

 

Vom 18. bis 24. August 1978 habe ich im Wechsel mit Bernd Wiedenroth insgesamt 16 etwa einstündige Vorträge und Demonstrationen über HIGH COM durchgeführt. Zusätzlich so 'mal eben' zwei auf Englisch und zwei weitere für die Presse.

 

Am Rande der Eröffnungspressekonferenz am 17. August 1978 wurde angekündigt, dass Dr. Dickopp, der damalige Leiter der Telefunken Grundlagenentwicklung, einen Ruf an die Universität in Duisburg angenommen habe.

 

Das Telefunken-Management beschloss nach dem erfolgreichen Auftritt in Düsseldorf, dass es zur weiteren Vermarktung einen HIGH COM-Beauftragten geben müsse. Den Zuschlag erhielt Dr. Thuy aus Berlin. Er kam nach Hannover und zog ein in das ehemalige Büro von Professor Bruch. Mittlerweile hatte ich aber schon diesen Raum mit Beschlag belegt und für akustische Experimente ausgestattet. Meine Geräte hatte ich direkt vor dem riesigen Wandbild aufgebaut, das den jungen Ingenieur Walter Bruch im Jahre 1936 als Kameramann im Berliner Olympiastadion zeigt. Einen anderen, geeigneten Raum gab es nicht im Gebäude. Nun, ich habe mich nicht vertreiben lassen und wir haben uns arrangiert …

 

Ende September 1978 wurden endlich die sehnlichst erwarteten ersten funktionsfähigen Muster des HIGH COM ICs, also des U401B, aus Heilbronn angeliefert.

Ebenfalls im September erschien in der Funkschau ein Aufsatz von Dr. Dickopp und mir, in dem wir darlegten, dass eine messtechnische Beurteilung der stationären Eigenschaften von Kompandern eigentlich nur mit Hilfe von Rauschsignalen und einer Terzbandanalyse erfolgen sollte [23].

 


8.         HIGH COM II

Die Kontakte zu Nakamichi bestanden weiter, aber dort dachte man immer noch, man bekomme schließlich so etwas wie einen Dolby-B Kompander mit sliding-band, aber mit deutlich besseren Eigenschaften. Telefunken hatte sich jetzt aber definitiv für die Breitbandvariante entschieden.

 

Am 20. September 1978 kam daher der Vice President von Nakamichi, Mr. S. Takai nach Hannover. Das Resultat war ein großes und typisches Missverständnis. Man hörte von ihm immer "hai" und gab sich der Illusion hin, Nakamichi sei nun mit der Breitbandversion einverstanden. Das klärte sich erst nach seiner Abreise. Natürlich war Nakamichi nicht einverstanden. Was tun?

 

Nach einigem Nachdenken fand sich ein Ausweg, der sogar wieder etwas näher an das herankam, was Nakamichi ursprünglich beabsichtigt hatte:

Unter Verwendung des für den Breitbandkompander HIGH COM entwickelten ICs U401B wurde speziell für Nakamichi ein Mehrbandkompander entwickelt.

 

Zu diesem Zeitpunkt arbeitete ich im kompletten Überlastbetrieb, denn mit den ersten 50 Mustern des U401B ICs mussten Musterplatinen aufgebaut und getestet werden. Natürlich gab es dafür keine besondere Unterstützung, es war komplette Handarbeit einer einzigen Person. Nebenbei mussten für das Halbleiterwerk Testprozeduren definiert und umgesetzt werden. Und es gab nur einen, der wirklich über HIGH COM Bescheid wusste …

 

Daher erhielt Werner Scholz, ein langjähriger Kollege aus dem Grundlagenlabor (der bei den PAL-Demonstrationen immer die PAL-, NTSC- und SECAM-Decoder bedienen und umschalten durfte), eine Kurzeinweisung und den Auftrag, sowohl eine Zweiband- als auch eine Dreibandversion von HIGH COM aufzubauen. Das erledigte er gewohnt präzise und erfindungsreich [24], und im April 1979 gab es funktionsfähige Muster, die die Erwartungen im Prinzip erfüllten. Nakamichi favorisierte, wohl eher aus Kostengründen, den Zweibandkompander, war aber mit der Funktion insgesamt nicht so ganz zufrieden. Ich hatte die Ergebnisse natürlich auch getestet und fügte schließlich noch eine entscheidende Detaillösung hinzu, nämlich eine zusätzliche Pre/Deemphase im unteren der beiden Frequenzbänder [25]. Dann brauchte man nur noch die Lösung für ein weiteres kleines Problem: es musste jemand hinfahren zu Nakamichi. Nun, man musste nicht lange suchen.

 

Vom 06.-13. Mai 1979 besuchte ich also die Nakamichi Labs in Tokyo. Man hatte extra einen gut Englisch sprechenden gebürtigen Japaner, einen jungen Ingenieur aus Los Angeles, als Sparringspartner eingeflogen. Mit Harron K. Appleman saß ich jeden Tag bis tief in die Nacht im Abhörraum und veränderte die Parameter des Kompanders so lange, bis schließlich die "Goldenen Ohren" von Nakamichi zufrieden waren. Dass ich Widerstände und Kondensatoren selber aus- und einlöten wollte und dass ich Farbcode lesen konnte, das erregte dabei schon etwas Aufsehen. Doch zum Schluss waren alle zufrieden und HIGH COM II war geboren. Nun musste Nakamichi daraus nur noch ein Produkt machen, was aber in gewohnter Weise professionell erledigt wurde.

 

HIGH COM II Gerät

 

Bild 13: Ansicht eines Nakamichi HIGH COM II Geräts (Foto Manfred Geske)

 

9.         HIGH COM Promotion

Bereits vor der Hi-Fi Messe in Düsseldorf, aber insbesondere auch durch die darauffolgenden Aktivitäten von Dr. Thuy reichten sich die Vertreter vieler Hersteller von Konsumgeräten die Klinke in die Hand und ließen sich HIGH COM demonstrieren. Mindestens ebensooft musste ich zu einem dieser Hersteller reisen.

 

Im Juli 1979 begann dann eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Rundfunktechnik (IRT) in München, die sich über viele Jahre erstrecken würde und die mich in manchen Jahren fast wöchentlich einmal nach München reisen ließ.

Von Juli 1979 an führten wir nun Diskussionen über den Kompandereinsatz beim FM-Rundfunk. Hierzu hatte das IRT ja schon einige Zeit vorher Untersuchungen mit dem Dolby-B Kompander angestellt [26].

 

Anfang 1980 war im AEG-Telefunken Halbleiterwerk in Heilbronn endlich die Informationsschrift [27] zum HIGH COM IC U401B fertig. Text, Bilder und Zeichnungen darin stammten durchweg aus Hannover. Inzwischen sprach man vom U401BR, dabei hat es insgesamt drei leicht unterschiedliche Versionen dieses Ics gegeben:

 

 

Am 7. Februar 1980 ging um 21:45 Uhr im Westdeutschen Rundfunk die Sendung Hobbythek von und mit Jean Pütz über die Sender. In dieser Sendung wurde HIGH COM intensiv behandelt und schließlich die Hobbythek-Version eines Zusatzgerätes mit HIGH COM vorgestellt: HobbyCom. Das Gerätchen verwendete die gleichen Module, die Telefunken auch in allen seinen Cassettenrecordern verwendete. Die Anwendungsschaltung drumherum war in der Telefunken Produktentwicklung gestaltet worden. Wie bei der Hobbythek üblich, konnte das Gerät preiswert als Bausatz bezogen werden.

 

HobbyCom

 

Bild 14: Ansicht eines HobbyCom Gerätes (Foto Ingo Weishaupt)

 

Vom 04. bis 18. Mai 1980 veranstaltete Telefunken eine HIGH COM Promotion Tour in Japan. Teilnehmer waren der Entwicklungsvorstand Dr. Klaus Welland und Rolf Schiering vom Vertrieb, sowie einer, der die Arbeit machen musste. Der Leser darf raten, wer das war.

In Tokyo im Hilton Hotel wurde ein Präsentationsraum hergerichtet und für die Vertreter von insgesamt 34 Firmen Demonstrationen von HIGH COM abgehalten.

 

im Tokyo Hilton

 

Bild 15: Eine HIGH COM Präsentation im Tokyo Hilton

 

Vom 19.-24. August 1980 fand dann in Düsseldorf die zweite HiFi Messe statt. Dort erhielt Telefunken für die Entwicklung von HIGH COM den Deutschen Hi-Fi Preis. Bei der Verleihung waren natürlich nur Vorstandsmitglieder vertreten.

Es lässt sich leider nicht mehr feststellen, wo dieser Preis abgeblieben ist. Aber immerhin existiert noch ein Foto der Trophäe.

 

Deutscher HIFI-Preis

Bild 16: Deutscher HIFI-Preis 1980

 

Die Aufschrift lautet:

Der Firma Telefunken für die Entwicklung des Rauschunterdrückungssystems HIGH COM verliehen vom HiFi-Magazin KlangBild

 

Auch die Lokalpresse nahm sich des Themas an. Am 5. September 1980 erschien in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung ein halbseitiger Artikel mit dem Titel "Rauschender Fluß der Töne wird im Wehr gereinigt". Im ersten Absatz versucht sich der Autor in Prophetie:

 

"Das Backsteingebäude Vahrenwalder Straße 215 wird eines fernen Tages vielleicht mit einer Erinnerungstafel ausgezeichnet werden. Hier, wird man den audiovisuell herangezogenen Nachkommen bedeuten, wurde in den sechziger und siebziger Jahren Revolutionäres für Auge und Ohr erfunden - Walter Bruch entwickelte in diesem Hause das Farbfernsehsystem PAL, und sein junger Mitarbeiter Ernst Schröder half dort später der Tonbandkassette aus den Kinderschuhen."

 

Nun, nachdem Telefunken in 1983 ausgezogen war, wurde das Gebäude in den Neunziger Jahren abgerissen. Also doch kein Platz für eine Erinnerungstafel. Schließlich war PAL ja auch nicht hier, sondern in einem Kellerlabor in Hannover-Ricklingen in der Göttinger Chaussee entwickelt worden.

 

Gegen Ende 1980 konnte Telefunken schließlich melden, dass mit mehr als 25 Firmen Lizenzvereinbarungen unterschrieben wurden und dass mehr als 35 Firmen weltweit als HIGH COM Systempartner angesehen werden können.

 

1980 war aber auch das Jahr, in dem von Dolby Labs das Dolby-C Verfahren vorgestellt wurde, ein sliding-band Kompander, der zwei der für Dolby-B verwendeten ICs benutzte, und der damit einen Gewinn von etwa 20 dB erzielte.

 

 

10.         HIGH COM in Beijing

Bei AEG-Telefunken hatte es inzwischen einige einschneidende Veränderungen gegeben. Nach Rekordverlusten im Jahre 1979 wurde am 1. Februar 1980 Heinz Dürr zum Vorstandsvorsitzenden berufen.

Für die ersten zwei Januarwochen in 1981 plante AEG-Telefunken eine große Industrie-Ausstellung in Beijing. Telefunken fiel die Aufgabe zu, Konsumelektronik und insbesondere PAL Farbfernsehgeräte auszustellen. Zu einem zeitgleich in Beijing stattfindenden technischen Colloquim wurde ein Vortrag über HIGH COM angekündigt.

Die Vorbereitungen waren umfangreich, und kurz bevor es richtig losgehen sollte, wurden die verfügbaren Mittel zusammengestrichen. Für Telefunken blieb es bei der Geräteausstellung und dem gemeldeten Vortrag. Das Standpersonal wurde auf ein Minimum zusammengestrichen, so dass nur noch eine Person übrig blieb: ich.

 

Am 28. Dezember ging es los, mit einem Chinesischen Jumbo über Paris nach Beijing. In Paris herrschte starker Nebel, das Flugzeug wurde nach Frankfurt umgeleitet. In der Nacht vor dem geplanten Abflug nach Paris erhielt ich einen Anruf und konnte gerade noch rechtzeitig ein Flugzeug nach Frankfurt und damit den Jumbo nach Beijing erreichen. Eine Zwischenlandung gab es dann in Katar, einem der Arabischen Emirate. Ich hatte den Eindruck, dass der Flughafen in Doha so tief in der Nacht extra nur für dieses eine Flugzeug geöffnet worden war. Heute sieht es dort sicher komplett anders aus.

 

Nach der Ankunft in Beijing wurden wir im Freundschaftshotel untergebracht, einem Bau aus der Zeit der gerade vergangenen großen Russisch-Chinesischen Freundschaft. In ähnlichem Stil war auch das Ausstellungsgebäude gehalten. Dort gab es natürlich ein Chinesisches Restaurant, aber auch ein internationales Restaurant. Die beiden unterschieden sich dadurch, dass es in einem Messer und Gabel anstelle von Stäbchen gab. Immerhin, beide Restaurants waren gut geheizt.

 

Das Messeprogramm war anstrengend, die Halle war kaum geheizt, aber die allgemeine Stimmung war gut. Mir war ein Team von 4 Chinesen zugeteilt, die ein wenig Deutsch und Englisch sprachen und darauf sehr stolz waren. Das Publikum war von den ausgestellten Konsumgeräten begeistert und die Telefunken Kataloge wurden mir förmlich aus den Händen gerissen. Schließlich musste ich die wenigen restlichen Kataloge streng rationieren.

 

 

Ausstellung in Beijing

 

Bild 17: Die ganze Mannschaft der AEG-Telefunken Ausstellung vor dem Ausstellungsgebäude

 

Auch für mich bemerkenswert war eine von von AEG-Olympia ausgestellte Schreibmaschine, mit deren Tinten-Spritztechnik man Chinesische Schriftzeichen zu Papier bringen konnte. Der Bedienende muste allerdings eine spezielle Codierung der Schreibmaschinentasten verinnerlicht haben, wenn er bestimmte Chinesische Schriftzeichen produzieren wollte.

 

Hier hatte ich auch meine erste Begegnung mit einem PC. Soweit ich mich erinnern kann, war das ein tragbarer TRS-80, den ein Messeteam der AEG für seine Präsentation benötigte. Natürlich waren die mächtig stolz und führten auch den Kollegen vor, dass man damit Spiele spielen konnte.

 

Mein Vortrag über Kompander, insbesondere über HIGH COM, kam sehr gut an. Ich musste im Anschluss daran noch für etwa eine Stunde Antworten auf sehr präzise Fragen geben. Offenbar hatte man sich sehr genau vorbereitet. Ich erinnere mich noch gut an die Kleiderordnung der anwesenden Professoren und Wissenschaftler: Blauer, ungebügelter Arbeitsanzug und eine Brille mit zerbrochenen Gläsern. Die Parteifunktionäre waren auch leicht zu erkennen, deren Anzüge waren gebügelt.

Im März 1981 erschien dann in der Chinesischen Fachzeitschrift "Audio Engineering" ein Artikel über HIGH COM, der auf meinem Vortrag beruhte [28].

 

 

Autor mit Messe-Team

 

Bild 18: Das Messe-Team am Telefunken Stand

 

   Artikel über HIGH COM

 

Bild 19: erste Seite des Artikels über HIGH COM

 

 


Natürlich gab es auch ein Rahmenprogramm. Wir besuchten die einschlägigen Sehenswürdigkeiten, die verbotene Stadt, den Sommerpalast, die Ming-Gräber und natürlich fuhren wir auch zur Großen Mauer in Badaling. Es war unverändert sehr kalt, so dass wir dort selbst beim Essen im Restaurant nicht aus unseren dicken Mänteln herauskamen.

 

Die schönste Erinnerung an Beijing ist für mich immer noch die an einen Spaziergang über den zugefrorenen See am Sommerpalast, bei klirrender Kälte und tiefstehender und aufgrund des Smogs gelblich rot leuchtender Sonne.

 

 

 

Die grosse Mauer

 

Bild 20: Die Große Mauer bei Badaling Anfang 1981

 


11.         Noch mehr Kompander

Anfang 1981 wurden die Probleme bei AEG-Telefunken und der Tochter Telefunken Fernseh- und Rundfunk GmbH in Hannover immer greifbarer. Definierte Aufgaben und einen Leiter der Grundlagenentwicklung gab es nicht mehr. Ich begann damit, mir meine Arbeit selber zu suchen.

 

Die Firma Grundig verwendete in ihrem Videorecorder Video2000 einen mit diskreten Bauelementen aufgebauten Audio-Kompander. Nach einiger Diskussion erhielt das AEG-Telefunken Halbleiterwerk in Heilbronn den Auftrag, dafür eine integrierte Schaltung zu entwickeln, die auch noch weitere Funktionen abdeckte. Den Auftrag zur Entwicklung der Kompanderschaltung erhielt ich. Das Projekt wurde erfolgreich abgewickelt und meine Arbeit wurde von Grundig bezahlt.

 

Ebenfalls im Herbst 1981 stellte die CBS in den USA ein Kompandersystem für Schallplatten vor, das CX-System [29]. Auch hierfür entwickelte ich ab Januar 1982 zusammen mit den Designern im AEG-Telefunken Halbleiterwerk eine integrierte Schaltung. Vom 5. bis 9. April 1982 fuhr ich dann zu CBS in Connecticut, um dort die fertige Schaltung (U2141B) testen zu lassen. Ich kam auch gut im Hotel an, wurde dann aber dort für einen Tag festgehalten, weil ein Schneesturm den gesamten Verkehr und sämtliche öffentliche Tätigkeiten unterbunden hatte. Am folgenden Tag traf ich dann auf Dan Graveraux, den Leiter des CX Entwicklungsteams bei CBS. In angenehmer Atmosphäre testeten wir die Schaltung und ich erhielt das ersehnte OK. Diesmal wurde meine Arbeit vom AEG-Telefunken Halbleiterwerk in Heilbronn bezahlt.

 

Ende 1981 beendete das IRT in München die Untersuchung des für FM-Rundfunk modifizierten HIGH COM FM [30]. Das Ergebnis war verhalten positiv, man empfahl die Durchführung von Feldversuchen.

 

12.         Schluss

Die AEG und mit ihr Telefunken waren schon seit einiger Zeit in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Mitte 1982 meldete der Vorstand der AEG-Telefunken schliesslich Vergleich an.

 

Es zeichnete sich ab, dass die Zeit der analogen Signalaufzeichnung und damit auch die der Kompander abgelaufen war. Im März 1983 wurde die digitale Compact Disc von Philips und Sony im Markt eingeführt.

 

Zum 01. April 1983 übernahm schließlich die Firma Thomson in Paris von der AEG-Telefunken zunächst 75% ihrer Tochter Telefunken. Die  Zentrale der Deutschen Thomson-Brandt GmbH saß in Villingen in den Räumen der schon vorher übernommenen ehemaligen HiFi Schmiede SABA. Damit schien das Schicksal der Entwicklungsabteilung in Hannover besiegelt zu sein. Mit Nachdruck und gegen starken Widerstand wurde der Umzug nach Villingen betrieben. Noch rechtzeitig erkannte Erich Geiger, der charismatische Leiter der DTB, das Potential, das ihm verloren zu gehen drohte. Er lenkte ein und die DTB richtete in Hannover in den alten Räumen auf dem Telefunken Gelände ein Labor für digitale Systeme ein.

 

Hier sollten weitere wichtige und einträgliche Entwicklungen entstehen, Video- und Audiocodierungen, enge Verwandte der Kompander. Aber das ist eine andere Geschichte.

 


 

13.         Literatur

[1]        Scholz, Werner: Schmalbandige Farbfernsehübertragung mit einfachen Mitteln, Funkschau 1970, Heft 4, pp 109 - 111

[2]        Bruch, Walter: Von der Tonwalze zur Bildplatte, Funkschau, 1977 Nr. 24 bis 1979 Nr. 10

[3]        Röder, Rolf; Sennheiser: DE2161905, angemeldet am 14.12.1971

[4]        Wermuth, Jürgen: DE2403756, angemeldet am 26.01.1974

[5]        Wermuth, Jürgen: DE2531475, angemeldet am 15.07.1975

[6]        Wermuth, Jürgen: DE2406258, angemeldet am 09.02.1974

[7]        Wermuth, Jürgen: DE2403799, angemeldet am 28.01.1974

[8]        Wermuth, Jürgen: Dynamik-Erweiterung durch neuartigen Studio-Kompander, 10. Tonmeistertagung Köln, 19.-22.11.1975

[9]        Wermuth, J.; Temmer, St. F.: Dynamikerweiterung durch neuartigen Studio-Kompander, Funkschau Nr. 18 (1975) pp 571 ff 

[10]     Dolby, Ray M.: US3665345, priority GB 21.07.1969

[11]     Wermuth, J.; Dickopp, G.; Schröder, E.: DE2529031, angemeldet am 28.06.1975

[12]     Jahnel, Benno: DE2661056, angemeldet am 02.04.1976

[13]     Schröder, E.; Wermuth, J.: Ein neues Kompandersystem – Grundlagen und Einsatzmöglichkeiten, Vortrag auf der FKTG Tagung in Freiburg, am 05.10.1976, veröffentlicht in: FKT 30 (1976) Nr. 12, pp 9 – 11

[14]     Höppner, Dietrich; Hintzmann, Kurt D.; Schröder, Ernst F.: Monolithisch Integrierte NF-Kompander, Wiss.-Ber. AEG-TELEFUNKEN 52 (1979) 1-2, pp 97 – 104

[15]     Mathes, Robert; Western Electric: US1757729, angemeldet am 13.03.1925

[16]     C.R.: Kompander verbessert Magnettonkopie, radio mentor Nr. 4 1965 pp 301 - 303

[17]     Burwen, Richard S.: Design of a Noise Eliminator System, Journal of The Audio Engineering Society Vol 19 (1971) December pp 906 - 911

[18]     Blackmer, D. A.: A Wide Dynamic Range Noise Reduction System, db, the Sound Eng. Magazine, vol 6, pp 54-56, Aug/Sept 1972

[19]     Doba, Stephen; Bell Labs: US2173472, angemeldet am 22.06.1937

[20]     Dolby, Ray Milton: An Audio Noise Reduction System, Journal of The Audio Engineering Society 1967 pp 383 ff

[21]     Schröder, E.; Wermuth J.: DE2830784 und US4321482, angemeldet am 13.07.1978

[22]     Dickopp, Gerhard; Schröder, Ernst: Der Telefunken-Kompander, Rundfunktechnische Mitteilungen Vol 22 (1978) Heft 2, pp 63 - 74

[23]     Dickopp, Gerhard; Schröder, Ernst: Meßverfahren für Kompander,
Funkschau 1978, Heft 17, pp 29 - 32    

[24]     Scholz, Werner: DE2856045, angemeldet am 23.12.1978

[25]     Schröder, Ernst: DE2919280, angemeldet am 12.05.1979

[26]     Mielke, E.-J.: Einfluß des Dolby-B-Verfahrens auf die Übertragungsqualität im UKW-Hörrundfunk, Rundfunktechnische Mitteilungen Vol 21 (1977) pp 222 - 228

[27]     U401BR, AEG-Telefunken Semiconductor Information 2.80

[28]     HIGH COM, Audio Engineering 3 (1981) pp 30 - 35

[29]     Handbook CX Low Cost Expander Model E-1016, CBS Technology Center, Stamford, CT, revised August 2, 1981

[30]     IRT Technical Report 55/81, Prüfung eines modifizierten HIGHCOM-Kompanders für den Einsatz bei der RF-Übertragung im UKW-Hörfunk, 30.12.1981

 

 


 

Anmerkung

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